Was macht eigentlich Marcus Zimmermann?
"Ich musste immer über meine Leistungsgrenze gehen"
Vor genau 20 Jahren startete der FC Augsburg in die Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga. Neben Fortuna Düsseldorf waren Eintracht Braunschweig und TuS Schloß-Neuhaus (heute SC Paderborn) die Gegner. Max Zimmermann spielte insgesamt sechs Jahre beim FCA und war damals hautnah dabei.
Max, du bist Geschäftsführer der Kinder- und Jugendhilfe Futhuk. Ihr habt mehrere Standorte in Bayern und über 60 Mitarbeitende. Ihr seid ein anerkannter Träger der Jugendhilfe und arbeitet eng mit Jugendämtern zusammen. Wie ist es um unseren Nachwuchs und um unsere Gesellschaft gestellt? Müssen wir uns Sorgen machen?
Wenn wir die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für alle verbessern, günstigen Wohnraum und eine bessere Schulausstattung hinbekommen und jeder in der Gesellschaft sich etwas einbringt, dann haben die Jugendlichen die gleichen Chancen, ihr Potenzial zu entfalten, wie wir früher.
Einerseits gibt es viele Kinder und Jugendliche, die wohlbehütet und mit einer guten schulischen Bildung aufwachsen, es gibt leider aber auch viele, die diese Privilegien nicht genießen.
Umso mehr müssen wir unser Augenmerk auf die offene Jugendarbeit und auf die richten, die zu wenig abbekommen. Wir müssen Talente fördern, nicht nur im Sport. Wir brauchen Bewegungsräume und Sportangebote, die für jedermann verfügbar sind. Gerade während Olympia wäre eine Art Public Viewing toll gewesen. Augsburg ist Olympiastadt, vorletztes Jahr wurden 50 Jahre Eiskanal gefeiert. Ich hätte mir eine Leinwand gewünscht, die Sportarten wie Schwimmen, Kajak, Beachvolley oder Leichtathletik überträgt, quasi als Animationsspritze für die Jugend. Früher gab es nur drei Fernsehprogramme, da kam man an solchen Events kaum vorbei, da ist man dann anschließend auch raus und hat alles selber ausprobiert.
Du bist schon lange in der Jugendarbeit tätig. Hat sich die Lage in den letzten zehn Jahren verbessert oder verschlechtert?
Die Aufgabenfelder werden speziell in meinem Bereich immer komplexer. Wir haben mehr Migration, dazu beobachten wir eine Auflösung traditioneller Familienbilder, Corona war schon eine große Belastung, Gendern ist ein großes Thema, in wirklich jedem Bereich wird die Sozialarbeit vor neue Aufgaben gestellt.
Du warst ja das, was man einen echten Straßenkicker bezeichnet. Nachwuchsleistungszentren gab es damals noch nicht einmal im Ansatz.
Ich bin im Herrenbach aufgewachsen, dort habe ich den ganzen Tag mit meinem FCA-Trikot auf einem Betonplatz gebolzt, die Straße war unser Revier.
Damals schon mit FCA-Trikot?
Selbstverständlich, ich habe heute noch Bilder davon. Ich hatte ein Baumwolltrikot, drei Millimeter dick, langärmlig, das trug ich zu jeder Jahreszeit (lacht).
Die Sympathie zum FCA war also schon früh da.
Ich habe die Saison 1973/74 miterlebt, das ging an niemandem spurlos vorbei in Augsburg. Eigentlich bin ich Viktorianer und war das bis in den Seniorenbereich. Dieter Mayr, der mit den B-Junioren des FCA Deutscher Vizemeister wurde, war Freund und Nachbar. Heiner Schuhmanns Schwiegereltern wohnten direkt neben mir. Da war also schon früh der direkte Draht zum FCA da. Und ab 1973 war ich mit meiner selbstgenähten Fahne bei jedem Jugendpfingstturnier in der Rosenau, das war damals das Größte für uns.
Wie hat es dich als Spieler von der TG Viktoria zum FCA verschlagen?
Mit 23 habe ich ein Jahr Pause eingelegt, weil die Viktoria mich nicht zum BC Aichach wechseln lies. Die wollten für mich eine Ablösesumme, die der BCA aber nicht zahlen wollte. Ich habe daraufhin ein Jahr pausiert und bin anschließend in die Bezirksoberliga zum TSV Bobingen gegangen. Nach einer Saison kam eine Anfrage, ob ich zur 2. Mannschaft des FCA wechseln will. Ich habe zugesagt, weil mir versprochen wurde, dass ich bei den Profis mittrainieren kann. Nach der Entlassung von Hans Greben wurde Helmut Haller Coach, der mich auch in der ersten Mannschaft debütieren lies. Nach einer Saison bin ich zu den Schwaben in die Bayernliga gewechselt. Ein Jahr später holte mich der FCA wieder zurück, ich bin dann sechs Jahre geblieben.
Du warst als harter Verteidiger bekannt. No mercy auf dem Platz...
Generell war ich ein fairer Spieler, gerade, wenn ich mich mit einem Stürmer verstanden habe. Aber es gab natürlich auch Typen, die einen angespuckt haben. Dann musste ich das anders regeln (lacht).
Du warst eher ein untypischer Profi. Keine Statussymbole, jemand mit eigener Meinung und politischer Haltung. Eigentlich wäre unser heutiger Gegner, der FC St. Pauli, dein Klub gewesen, oder?
Absolut, St. Pauli hat mich von seiner Ideologie immer angesprochen. Wenn die mich angerufen hätten, dann wäre ich nach Hamburg gelaufen (lacht).
Armin Veh war damals dein Trainer beim FCA. Ihr seid schon mal gerne aufeinander gerauscht.
Ich war nie ein Stinkstiefel und eher ein gut führbarer Spieler. Ich musste immer über meine Leistungsgrenze gehen, damit eine Akzeptanz da war. Spieler, die von anderen Klubs kamen, hatten es meist leichter als wir lokalen Kicker. Damals waren die finanziellen Mittel nicht besonders groß, deswegen musste man auch auf Spieler aus der Region setzen.
Vor genau 20 Jahren startete der FCA in die Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga. Ihr habt die Bayernliga souverän dominiert. 21. Mai 1994, das erste Spiel in der Aufstiegsrunde begann sehr hoffnungsvoll. Gegen Eintracht Braunschweig gelang euch vor 7.000 Zuschauern ein 2:1.
Die Kulisse war doch eher enttäuschend, die Erwartungshaltung vieler Augsburger nicht hoch. Ich hatte in dieser Saison mit die meisten Spiele absolviert und war verdutzt, dass ich erst einmal draußen war. Ich habe mich 60 Minuten warmgelaufen, erfolglos. Das war zu akzeptieren.
Vier Tage später folgte die erste harte Landung, 0:2-Auswärtsniederlage gegen TuS Schloß Neuhaus (heute SC Paderborn).
Wir haben das Spiel leider durch zwei individuelle Fehler verloren und da war klar, dass wir in Düsseldorf nicht verlieren durften.
Am 29. Mai keimte auswärts gegen die Fortuna im Niederrheinstadion Hoffnung auf, ihr habt dem hohen Favoriten ein 1:1 abgetrotzt.
Das war für uns ein ganz neues Erlebnis, denn wir sind zum Spiel geflogen und das gab es schon lange nicht mehr. An Bord war auch eine völlig aufgedrehte Sponsorendelegation. Sie waren jetzt endlich dort, wo sie ihrer Meinung nach auch hingehörten. Wir waren alle top motiviert, auf der Tribüne saßen die Toten Hosen als Fortuna-Sponsor, das Stadion war gut besucht. Das Tor von Christian Radlmaier hielt uns im Aufstiegsrennen.
Am 2. Juni kommt es im Rückspiel zum großen Showdown. 15.000 Zuschauer pilgern hoffnungsvoll in die Rosenau.
Die Düsseldorfer waren spielerisch zwar auf einem ähnlichen Niveau wie wir, aber sie waren in der Spielverwaltung abgeklärter und abgezockter. Ich kam erst nach der Pause ins Spiel. Wir lagen früh 0:1 zurück, es war ein echtes All-in-Spiel, das heißt wir haben unsere Verteidigung komplett aufgelöst und haben wie wild nach vorne gespielt. Ich als Manndecker alleine hatte vier Torschüsse. Aber trotz unseres Sturmlaufs ist es uns nicht gelungen, die Abwehr der Fortunen zu knacken und kurz vor Ende gelang ihnen auch noch das 0:2. Das wars dann.
Es folgte eine 2:4-Niederlage zuhause gegen Schloß-Neuhaus und ein 0:0 in Braunschweig.
Die beiden Spiele waren nur noch Makulatur. Es sollte nicht sein und letztendlich hat es dann noch ein Jahrzehnt gedauert, bis der FCA den Weg in die 2. Bundesliga finden sollte.
Ein besonderes Highlight beim FCA war sicher das Pokalspiel gegen Bayer Leverkusen am 26. Oktober 1993 mit Bernd Schuster.
Die Auslosung sorgte für die Rückkehr von Bernd Schuster, dem Star von Real und Barca nach Augsburg. Ich habe ihn als Jugendspieler beim Pfingstturnier erlebt und habe mich total auf dieses Spiel gefreut. Wir waren eine starke Truppe und auf Augenhöhe. Trotz guter Leistung sind wir dann unglücklich im Elfmeterschießen ausgeschieden. Leverkusen wurde Pokalsieger.
Hattest du einen persönlichen Kontakt mit Schuster?
Nein, nur am Mittelkreis musste ich einmal unsanft den Wirkungskreis der Legende eindämmen (lacht).
Hättest du dir damals erträumt, dass der FCA mal 13 Jahre ununterbrochen in der Bundesliga spielen würde?
(lacht) Nein, absolut nicht. Das erste Mal, als ich das Gefühl hatte, hier könnte etwas entstehen, war 2002, als mich Walther Seinsch zu einem Gespräch einlud und mich fragte, ob ich nicht Co-Trainer unter Middendorp werden will. Ich habe aber abgelehnt, weil ich in diese Richtung nie Ambitionen hatte. Jedenfalls hatte man schnell das Gefühl, dass da einer ist, der richtig was bewegen könnte.
2016 als der FCA in Liverpool gespielt hat, warst du auch an der Anfield Road.
Das war so surreal. Mein Hotelzimmer war in der City und irgendwann zogen einige tausend FCA‘ler mit schwarzen Kutten an meinem Fenster vorbei, wie bei einer Prozession. Das war ein unglaublich toller Anblick. Es war irre, man trifft plötzlich in Manchester auf dem Flughafen oder in der Liverpooler Innenstadt Leute, denen man sonst am Königsplatz oder im Bismarckviertel über den Weg läuft.
Wie sehr verfolgst du heute noch das Geschehen rund um den FCA?
Ich verfolge das natürlich mit Interesse, aber meine Zeit lässt es neben Job und Familie nur selten zu, dass ich in der WWK ARENA bin.
Der TSV Schwaben ist in die Regionalliga aufgestiegen.
Das freut mich als Ex-Schwabe natürlich. Ich habe kürzlich beim Training zugeschaut. Der Start war super, zurzeit werden sie von einer Euphorie getragen. Aber der Kader ist dünn besetzt und ich hoffe, dass sie von größeren Verletzungen verschont bleiben. (ws)