Was macht eigentlich Levent Sürme?
"Fußball ist für mich eine Berufung"
Levent Sürme hat bereits mit sechs Jahren bei den F-Junioren des FCA mit dem Kicken begonnen, anschließend durchlief er alle Jugendteams bis zur U19. Wegen einer Verletzung musste er früh die Fußballschuhe an den Nagel hängen und wurde schon mit 19 Jahren Nachwuchscoach im NLZ des FCA. Er trainierte Teams von der U9 bis zur U17 und wechselte 2018 als U15-Trainer nach Leipzig. Drei Jahre später wurde er erst zum Co-Trainer und im März 2023 zum Cheftrainer der türkischen U21-Nationalmanschaft berufen. Walter Sianos funkte zu ihm nach Istanbul.
Hallo Levent, wo habe ich dich denn gerade erreicht?
In Istanbul. Ich bin gerade im neuen Trainings- und Ausbildungszentrum der türkischen Nationalmannschaft. Wir haben heute ein großes Meeting mit den Verantwortlichen der A- sowie der U21-Nationalmannschaft, haben aber gerade Mittagspause, deswegen können wir uns gerne unterhalten.
Das klingt alles ziemlich spannend. Aber spulen wir mal ganz weit zurück. Du bist als kleiner Junge von Istanbul nach Augsburg gezogen.
Ja, ich bin ein Augsburger Junge aus Istanbul. Ich bin mit sechs Jahren nach Deutschland gekommen, zuerst waren wir einige Wochen in Emden, aber nachdem meine Eltern Bekannte in Augsburg hatten, sind wir letztendlich hier gelandet.
Und hast gleich beim FCA losgelegt …
Für mich war klar, dass ich sofort Fußball spielen muss. Wir sind also auf Vereinssuche gegangen, einfach zum FCA marschiert und ich durfte gleich mal ein Probetraining absolvieren. Mit Erfolg und so bin ich in der F-Jugend gelandet und damit hat dann eine lange FCA-Reise für mich angefangen.
Sogar eine sehr lange …
Das kann man sagen, denn mit einer kurzen Unterbrechung war ich insgesamt 25 Jahre lang beim FC Augsburg.
Du wurdest bereits mit 19 Jahren Trainer. Das ist sehr ungewöhnlich.
Ich musste leider schon sehr früh wegen einer Verletzung aufhören. Günther Hausmann war damals Jugendleiter beim FCA und hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, bei den F-Junioren als Trainer anzufangen. Ich war erst 19 Jahre jung, aber ich konnte mir das absolut vorstellen und habe ganz schnell Blut geleckt. Ich hatte gerade mein Abitur in der Tasche und bis zum Semesterbeginn war genügend Zeit und so bin einfach ins kalte Wasser gesprungen. Wenn ich jetzt so zurückdenke, war die Verletzung, so blöd wie das jetzt auch klingt, das Beste was mir passieren konnte.
Wie ging's los?
Ich hatte damals einen Ferienjob bei Siemens und habe dort während der Pausen damit begonnen, meine Trainingseinheiten anhand vieler Notizen zu gestalten. Aber bereits meine erste Trainingseinheit hat alles über Bord geworfen, denn ich musste feststellen, dass viele Kids noch nicht mal wussten, wo links oder rechts ist (lacht). Ich habe also schnell gemerkt, dass ich ganz anders an die Sache herangehen muss, also mit weniger taktischen Schemen, dafür mit learning by doing. Für mich waren es tolle und lehrreiche Jahre, in den ersten acht Jahren habe ich ausschließlich im Kleinfeldbereich gearbeitet und dort alles von der Pike auf gelernt. Das würde ich übrigens auch heute noch jedem Ex-Profi wärmstens empfehlen, der ins Trainergeschäft einsteigen will.
Du hast dich beim FCA von der U8 bis zur U17 hochgearbeitet.
Und nebenbei habe ich noch studiert und gejobbt. Nach der Uni habe war ich dann fest bei der MAN angestellt.
2018 kam dann der Wechsel nach Leipzig.
Ich will da ganz ehrlich sein, das ist mir nicht leicht gefallen, denn der FCA ist mein Verein, ich liebe Augsburg und ich habe heute noch eine totale Bindung zur Stadt. Ich habe lange hier gespielt, ich war Balljunge und habe als Fan schon in der Regionalliga im Rosenaustadion mitgefiebert. Ich bin heute noch Mitglied und habe meinem Sohn erst dieses tolle Traditionstrikot gekauft. Deswegen war der Abschied schon hart für mich, aber rückblickend muss ich sagen, dass mir dieser Schritt gutgetan hat, denn irgendwann muss man sich mal abnabeln, um den Horizont zu erweitern.
Welche Erfahrungen hast du in deinem neuen Umfeld gemacht?
Ich bin von einem Malocher-Verein in einen goldenen Käfig gewechselt. In Leipzig ist alles in Hülle und Fülle vorhanden, dort wird einem jeder Wunsch erfüllt und man bekommt im Prinzip jeden Spieler, den man will.
Stimmt es, dass dich Manuel Baum, als er 2020 beim FC Schalke angeheuert hat, als Co-Trainer haben wollte?
Ja, Manuel wollte mich mitnehmen, aber Schalke legte ein Veto ein, sie wollten die Stelle mit einem Ex-Profi besetzen.
Neben deinem Job beim türkischen Fußballverband bist du noch bei Sky für die Bundesliga-Analysen zuständig.
Diese Aufgabe macht mir Spaß und dadurch bin ich auch immer up to date, was die Bundesliga betrifft. Bei Magenta TV mache darüber hinaus noch die Analysen bei Welt- und Europameisterschaften.
Du scheinst ein echter Workoholic zu sein, woher kommt diese Liebe zu Taktik und Analyse?
Fußball ist für mich eine Berufung, ich saß oft bis morgens um fünf Uhr in meinem Büro in Leipzig und habe gar nicht bemerkt, wie die Zeit verging. Ich bin tatsächlich jemand, der sich den ganzen Tag mit Fußball beschäftigen kann.
Auch Thomas Tuchel hat beim FCA deinen Weg gekreuzt.
Er hat definitiv seine Spuren hinterlassen. Aber trotz aller taktischen Finessen zählt letztendlich der Mensch. Die Magnete, die man auf Taktiktafeln hin und herschiebt, sind schließlich Menschen und das ist die Basis. Für meinen Geschmack ist das Individuelle im Fußball in den letzten Jahren verloren gegangen und gerade meine Zeit in der Türkei hat mir das vor Augen geführt. Meine Spieler kommen aus vielen verschieden Ligen und Ländern und obwohl sie für die gleiche Nationalmannschaft spielen, sind sie alle völlig unterschiedlich und ticken anders.
Wenn man sich deine immer noch junge Vita anschaut, stellt man fest, dass es bei dir nur eine Richtung gibt, nämlich die nach oben. Bist du jemand, der strategisch agiert oder spielt auch der Zufall gerade im Fußball eine große Rolle?
Ganz ehrlich, ich habe vor Jahren aufgehört, über Ziele nachzudenken, denn oft entscheiden in dieser Branche andere über dich. Es macht einen kaputt, wenn man auf ein Ziel hinarbeitet und es am Ende vielleicht gar nicht selber in der Hand hat. Wie du schon sagst, der Zufall spielt oft eine große Rolle und manchmal muss man eben auch einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Mein größtes Ziel war der Fußballehrerschein, seit ich den in der Tasche habe, bin ich deutlich entspannter geworden.
Seit März 2023 bist du nun Chefcoach der türkischen U21.
Ich war zuerst Co-Trainer, was für mich der perfekte Einstieg war. Ich konnte mir alles anschauen und kennenlernen, 18 Monate Jahre später wurde ich zum Cheftrainer befördert.
Damit ging sicher ein großer Traum in Erfüllung
Das kann man sagen, ich habe an diesem Tag tatsächlich einige Tränen in meinem Hotelzimmer vergossen. Ich war aber nie hinter dem Job her und bin mit meinem Vorgänger Tolunay Kafkas immer noch befreundet. Ich kann also mit gutem Gewissen in den Spiegel schauen.
Wo lebst du eigentlich?
Überall (lacht). Unsere Familienbasis ist weiterhin in Augsburg, aber ich habe noch einen zweiten Wohnsitz in Istanbul. Aber im Prinzip bin ich permanent in ganz Europa unterwegs, entweder auf Lehrgängen oder auf Spielerbeobachtungen.
Wie sehr verfolgst du noch das Geschehen rund um den FCA?
Sehr intensiv, ich bin da immer voll im Thema.
Ein Wort zur aktuellen Saison?
Der lub hat super gut die Kurve gekriegt. Man hat jahrelang erfolgreich gegen den Abstieg gespielt und durch verschiedene Umstrukturierungen hat man ein Signal gesetzt, das jetzt schon früh aufzugehen scheint. Ich bin optimistisch, dass der FCA auch erfolgreich zum nächsten Step ansetzen wird. Das Stadion ist abbezahlt, der Verein ist wirtschaftlich gesund, in der Donauwörther Straße steht ein modernes NLZ, im Verein herrscht Ruhe, die handelnden Personen sind alle schon lange dabei und man hat mittlerweile auch eine große Fanbasis. Mit Jess Thorup und Marinko Jurendic hat der Club zwei sehr gute Leute verpflichtet, da läuft schon viel in die richtige Richtung.
Wo siehst du deine Zukunft, Nationalmannschaft oder Verein?
Im Moment bin ich wirklich sehr glücklich und habe eine sehr hohe Jobzufriedenheit. Gerade die Erfahrungen im internationalen Bereich sind durch nichts zu ersetzen und das hebt einen schon auf ein neues Level. Aber natürlich reizt es mich sehr, eines Tages einen Verein zu coachen, keine Frage. (ws)